Chefs können nicht alles selbst machen. Sollen sie ja auch nicht. Dafür gibt es ja die Mitarbeiter, die nicht für Führung sondern für Arbeit bezahlt werden.
Bei einem Chef, der sich die Leute selbst einstellen durfte, hat er meistens genügend Vertrauen – er hat sich die Leute ja ausgesucht und damit genau jenen Typ, den er selbst bevorzugt und den er meint, einschätzen zu können.
Dieses Privileg haben aber nur die wenigsten Chefs – die meisten Chefs übernehmen eine Gruppe oder bekommen die Leute zugeteilt.
Da der Chef aber von seinem Chef für die Leistung verantwortlich gemacht wird, steckt er in einem Dilemma: entweder er weiß nicht, wem er etwas zutrauen kann oder er weiß, daß er es niemandem zutrauen kann, oder?
Drehen wir die Situation um. Wir haben ein eingespieltes Team. Es haben sich Arbeitswege etabliert und jedem ist klar, wer vom Chef mit welchen Aufgaben betraut wurde. Oder es gibt sogar „Stellvertreter“ oder Leute, die normalerweise mit Führungsaufgaben oder Teilen davon betraut werden. Seien sie jetzt offiziell oder nur informell dazu geworden, ist hier egal. Jetzt kommt ein neuer Chef. Der kennt erstmal niemanden.
Leider ist es in dieser Situation teilweise üblich, erstmal alles selbst zu machen, da man den Leuten ja noch nicht vertrauen kann. Die Leute sehen aber, daß der Chef ihnen alles aus der Hand nimmt und ihnen keinerlei Verantwortung zutraut. Und dann kommt etwas zum Tragen, was immer vergessen wird: nicht nur die Chefs müssen ihren Mitarbeitern vertrauen sondern auch die Mitarbeiter ihren Chefs. Der Chef stellt nämlich das Gesicht der Gruppe nach außen dar.
Und Vertrauen ist ein Gut auf Gegenseitigkeit. Leider verlangen Chefs immer, daß man ihnen bedingungslos vertraut – sie selbst wollen aber, daß man sich das Vertrauen verdient. Das ist eine Schieflage.
Warum vertrauen sie nicht ihren Vorgängern? Nunja, wenn der Vorgänger „gegangen wurde“, kann ich ja noch verstehen, wenn sie es nicht machen – aber sonst? Der Vorgänger war ja kein Idiot und normalerweise wird er schon einigermaßen passende Leute ausgewählt haben. Diese Entscheidung in Frage zu stellen, destabilisert die Gruppe. Und damit ihre Ergebnisse. Und damit steht der Chef schlecht da, da er schlechte Ergebnisse liefert.
Das nenne ich eine Lose-Lose-Situation.
Doch was kann er machen? Als allererstes mit den Leuten reden. Eine Führungskraft soll doch führen – und dazu muß er wissen, wie sich die Leute führen lassen und was überhaupt ihre Ideen sind. Denn auch Mitarbeiter haben Ziele, die sich meistens (oder zumindest oft) mit den Zielen der Gruppe in Einklang bringen lassen. Und jemand, der seine eigenen Ziele verfolgt, wird wahrscheinlich effektiver arbeiten als jemand, der gegen seine Ziele arbeiten muß.
Als zweites sollte er seinen Leuten das gleiche Vertrauen entgegenbringen, das er von ihnen einfordert. Denn ob er es sich eingesteht oder nicht: er hält so oder so den Kopf dafür hin, was seine Leute anstellen. Und wenn er ihnen Freiräume läßt, geht er die Gefahr ein, enttäuscht zu werden. Wenn er ihnen aber keine Freiräume läßt, dann wird er enttäuscht werden, denn er könnte genausogut die Gruppe entlassen. Wenn nur seine Entscheidungen zählen, braucht man die restlichen Gruppenmitglieder nicht – aber er wird mit der Arbeitslast nicht klarkommen. Also wird die Gruppe scheitern und damit er selbst.
Deligieren heißt nicht, jeden in dessen eigene Richtung rennen zu lassen. Natürlich gibt der Chef die Richtung vor, aber wie das Ziel erreicht wird oder ob man leichte Abweichungen in Kauf nehmen muß (zum Beispiel, weil andere Teams im Spiel mitmischen), das kann und sollte der Chef seinen Mitarbeitern schon zur Entscheidung zutrauen. Wenn er bestimmte Punkte auf jeden Fall erreichen will, kann er ja bei der Auftragserteilung darauf hinweisen. Dann muß er aber damit leben, daß der Auftrag zu ihm zurückkommt, wenn er dadurch für seinen Mitarbeiter unlösbar wird …